Damals
- soenk3
- 4. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Juli

Es war nicht das erste Mal, dass ich die Wucht von Steinschlägen als absolut todbringend erfahren hatte. Erstens erfuhr ich von einem Freund, der mit einer Dreierseilschaft das Matterhorn bestieg, dass der mittlere Mann wurde durch Steinschlag getötet wurde. Und eine Geschichte habe ich selbst mit einem Bergpartner erlebt, von der her klar sein musste, dass man an Steinschlag durchaus sterben kann.
Sobald ich in Murnau wusste, dass es hier nicht durch einen Autounfall eingeliefert worden war, dachte ich mir: Warum hast du Steinschlag nie als ganz große Gefahr eingeschätzt? Wahrscheinlich, weil mir bei all meinen Bergtouren (und es waren viele, viele) ein, zwei oder dreimal ein kitzekleiner Stein auf den Kopf gefallen war.
Vor der Höhe hatte ich schon mehr Respekt. Das ist irgendwie naheliegend beim Klettern. Wenn du dich irgendwo versteigst, oder dir ein „Runout“ (weite Strecke, ohne Sicherungen gelegt zu haben) passiert, durch den es im schlimmsten Fall zum einem Seilschaftssturz kommen könnte.
Auf Grund von Steinschlag sterben nur vergleichsweise wenige Bergsteiger, meinte ich. Und wenn, dann sicher nicht ich. Tatsächlich sind es immerhin 20-25% für das Alpinklettern und 10-15% für das Eisklettern. Beim Bergwandern ist es übrigens noch circa 5%. Die hauptsächliche Todesursache bei Alpin-/Eisklettern ist mit etwa 50% tatsächlich Absturz. Beim Bergwandern es mit gegen 50% – vielleicht unerwartet – der Herztod.
Mit Rupert war ich im Jahre 2002 auf der Argentière-Hütte, in Mont-Blanc-Massiv. Wir waren auf Skitouren aus, aber eigentlich war Alpines (Eis-)Klettern das, was ich (wir?) wirklich wollten.
Als Eingehtour nahmen wir uns das Desmaison-Couloir an der Triolet vor. Das heißt, wir ließen so namhafte Gipfel wie Droites, Courtes oder Aguilles Verte liegen, die alle in Reichweite der Argentière-Hütte liegen. Wir wollten erst mal klein anzufangen.
Dass ich mit den Bergstiefeln in den Skibindungen nicht glücklich würde, hatte ich schon gemerkt. Von der Verte-Seilbahn fuhr ich die paar Meter zum Argentièregletscher wie ein absoluter Anfänger ab. Aber ich wollte Gewicht sparen. Bergauf mit Fellen war das kein Problem. Aber zum Reiz der Skitouren gehört nicht zuletzt die Abfahrt, und so war es klar, dass wir die Skier leider eher als Aufstiegshilfe zu den Wänden nützen würden.
Das Ehepaar, das das Refuge d´Argentière führte, war glücklicherweise schon da, um die Saison vorzubereiten. Sie sorgten auch für das leibliche Wohl, und so ging es nach guter Ruhe und leichtem Frühstück ans Werk. Nach zwei Stunden Aufstieg per Ski standen wir in der Morgendämmerung unter dem Couloir. Die Diskussion wurde eröffnet, wo man denn am besten den Bergschrund übersteigen könne. Nachdem wir uns auf eine machbar erscheinende Linie geeinigt hatten, wurde auf einen kleinen Rucksack umgepackt, den, wie

es üblich ist, der Nachsteiger tragen sollte. Schon würgte Rupert an der überhängenden Oberlippe der Randkluft. Ich hing schräg in dieser drin, sichernd und immer darauf vorbereitet, dass mein Partner plötzlich über den Spalt auf den darunter steil in Richtung
Gletscher abfallenden Schneehang fallen könnte. So schwer war wirklich nicht, fand ich als Seilzweiter. Aber mein Berggefährte zeigte sich allerdings verwundert, dass ich ohne Rucksack über die Kante kam. Ja Mist, den hatte ich wohl vergessen. Aber jetzt war es zu spät, wollten wir keine Zeit verlieren. Das hieß auf jeden Fall: Kein Biwak riskieren!
Ich muss vorausschicken, dass ich ziemlich spät zum Bergsteigen/Klettern kam, weil ich vorher Mittel- und Langstreckenlauf hobbymäßig, aber einigermaßen erfolgreich betrieb. Kondition für den Bergsport hatte ich.
Dann meldete ich mich freiwillig zu den Gebirgsjägern, und leckte Blut. Nach dem Studium kam irgendwann auch Geld in die Bude, ich kaufte mir notgedrungen ein Auto, weil ich im Refendariat ganz schön durch die Gegend geschickt wurde. Damit stand auch dem Bergsport nichts mehr im Wege. Und so musste ich erst mal nachholen, was andere schon in die Wiege gelegt bekommen hatten.
Der eiserfahrene Rupert übernahm in den „Mixed“-Partien (Fels und Eis gemischt) den souveränen Vorstieg. Im Nachhinein kommt es mir gar nicht so lang vor, bis wir nach Überwindung der Mixedpassagen in den oberen Teil des Couloirs gelangten, das mit seinem griffigen Eis ein rasches Weiterkommen ermöglichte. Oft war ich noch nicht im Eis gewesen, aber hier war es so weit, dass ich vorsteigen wollte. Kein Wunder, dass ich drei Eisschrauben setzte, wo ein anderer nur eine gesetzt hätte. Auch die Stände wurden sehr gewissenhaft gebaut, fehlte es mir doch noch an der Erfahrung, dass in den hohen Bergen oft auch Schnelligkeit entscheidend zur Sicherheit beiträgt. Ein Blick zu meiner Uhr sagte mir, dass es wohl eigentlich schon Umkehrzeit sei...
Die Felsen über uns standen in der Nachmittagssonne. Schön. Vielleicht bekämen wir ja auch noch ein paar Strahlen ab. Oder sollte uns das grelle Licht auf den Felsen als Warnzeichen dienen? Aber es war scheißkalt, sicher -10°, vielleicht sogar -20° oder darunter. Da sollte der Granit doch nicht wegen der paar Sonnenstrahlen gleich kollabieren...
Gerade hatte ich das verzwickte Standsystem vollendet und war drauf und dran, meinen Kameraden zum Nachkommen aufzufordern, da tat es hoch über mir ein klickendes Geräusch. Ich sah auf, und da kam ein Granitblock auf uns zugeflogen. Er war, wenn ich meiner Erinnerung glauben schenken will, einen Meter hoch und wohl 30-40 cm breit. Das Trumm war wohl leicht einige Zentner schwer! Ich war aus der Schusslinie, aber Rupert hatte seinen Stand schräg versetzt unter mir – der Brocken schlug ungefähr auf meiner Höhe auf, um gleich wieder in weit ausholendem Bogen weiter bergab zu pfeifen – geradewegs auf meinen Gefährten zu. Ich rief keine Warnung, denn mein Partner selbst blickte bereits gebannt nach oben und musste die Gefahr wohl erkannt haben. Wie ein Standbild haben sich diese Momente in meinem Hirn eingebrannt. Auch Rupert sieht den Fels scheinbar reglos in der Luft stehen – so sehen Felsen aus, die genau auf einen zuschießen. An der Standschlinge gefangen, macht er, wie er später sagt, noch einen Satz auf die Seite. Leider war es die falsche, und schon schlägt der riesige Block genau in seinem Stand auf. Während dieses Ungetüm aus Stein nur wenige Sekunden später schon im Schnee des Gletschers am Fuße Wand begraben liegen würde, steht Rupert immer noch in seinem Stand. Er lebt – und schreit. Er schreit mit einer Lautstärke, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.












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