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Blick vom Heimgarten, Thema "zurueck an den Berg"

Aphasie sucks! :-X

  • soenk3
  • 19. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 1. Okt.


Die Folgen meines Unfall waren keine Erfreulichen. Deswegen sollen die nächsten Beiträge die Basis beschreiben, von der ich anfangen musste. Anfänge, die mir teilweise ein Leben lang folgen sollten. Obwohl, ich bin noch jung. Wir werden sehen...


Eines schönen Tages sollte ich vom Beatmungsschlauch getrennt werden. Aus den Aufzeichnungen meines Bruders geht hervor, dass es um den 19.1. gewesen sein musste. Als der Arzt kurz davor war, den Atemschlauch zu ziehen, meinte er, ohne das Beatmungssystem könnte ich vermutlich ohnehin reden. Der Schlauch wurde entfernt, und ich redete trotzdem nicht.

Auch nicht, als schließlich die Logopädin kam. Ich reagierte empört, dass man mir eine Logopädin schickte. „Ich kann reden. Garantiert“. Das konnte ich zwar nicht sagen, aber soviel war klar. Ich redete schließlich auch im Geiste. Ganz normal. Und verstehen konnte ich sowieso! Sogar Spanisch, Englisch und Bayrisch. „Langsam behandeln die mich wie einen Geisteskranken“, dachte ich, zu Recht! Wie ich meinte. Also machte ich in der Logopädiestunde auch nicht so richtig mit.


Als die Sprachtherapeutin das zweite Mal kam, meinte sie: „Also ein bisschen mitmachen müssen sie schon“. Da öffnete ich meinem Mund, und die Logopädin hörte ein undefinierbares Stöhnen. „Na also“, sagte die Therapeutin, „es wird doch“.


Eine Zeit noch beharrte ich darauf, dass ich bestimmt reden könnte. Dann gab ich auf. Langsam glaubte ich es selbst. Ich konnte nicht reden, so sehr ich auch davon träumte. Und der Logopädin wurde ich dankbarer und dankbarer.


Verheilte Tracheotomie (Luftröhrenschnitt)
Verheilte Tracheotomie (Luftröhrenschnitt)

Mein Sprachzentrum war nach dem Unfall zerstört. Ich musste das Sprechen komplett neu lernen. „Jetzt auch das noch!“ Was das aber hieß, und dass es Jahre kosten würde, bis ich immer noch nicht wie vorher sprechen konnte, das wusste ich am Anfang überhaupt noch nicht.


Ich hatte eine Mischung aus Aphasie und Sprechapraxie der gemeinsten Art. Aphasie sind grob Wortfindungsstörungen. Ich habe einige Leute mit einer „bloßen“ Aphasie kennengelernt. Nach einem Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma lernten sie das kommunizieren bald wieder. Sie sprachen so gut und klar wie vorher. Dafür aber wussten sie nach einigen Wörtern nicht mehr weiter. Einen Mann habe ich kennengelernt, der immer die Hauptwörter vergaß. Er redete völlig normal, aber irgendwann ging einem auf, dass seine Rede irgendwie keinen Sinn hatte. Weil die Hauptwörter fehlten.

Er wird inzwischen wieder annähernd normal sprechen. Weil er sich als neues Hobby die Logopädie suchte. Es dauert lange, bei manchen Leuten Jahre, aber es wird immer besser. Wenn man nur will.


Sprechapraxie ist eine Störung der Sprechmotorik, die durch eine Schädigung im Gehirn entsteht. Die Muskulatur ist vorhanden, aber sie wird nicht mehr angesteuert. Weil mein Hirn an der Stelle getroffen wurde, wo die Sprache wohnt. Dieses Areal des Hirns war zu kognitiven Leistungen nicht mehr fähig. Das Beeindruckende am Gehirn ist, dass die Sprache einfach ein anderes Areal übernimmt. Das Hirn ist „plastisch“, sagt man generell dazu, dass heißt, wenn ein Teil des Gehirns krank ist, kann ein anderer Teil die Funktion wahrnehmen.

Faszinierend, was das Hirn kann: Brainy ist zwar sehr weise, aber er kann leider nicht mehr sprechen. Also bestimmt er einfach einen anderen Teil seines Systems als Sprachzentrum, das seine volle, geballte Weisheit zum Ausdruck bringen kann. Und fertig! Das ist, wie ich finde, ziemlich genial!

Aber es gibt bei dieser Sache einen klitzekleinen Haken: es braucht, bei Sprechapraxie wie bei Aphasie, ein systemisches Training, damit irgendwann wieder das „normale“ Sprechen möglich ist. Dieses systematische Training nennt sich Logopädie.

 

Im 18.Jahrhundert hat Johann Gottfried Herder gemeint, dass der Mensch sich vom Tier nicht nur durch den Instinkt, sondern auch durch Sprache unterscheidet. Diese Ansicht ist mir von Anfang an im Kopf herumgegangen. In Bad Aibling, wo ich zur Reha hingeschickt werden würde, lernte ich täglich ein bis zwei Stunden. Ich hatte ich viermal pro Woche 40 Minuten Logotherapie. Aber eine Woche hat bekanntlich 7 Tage, und neben der Hausaufgabe kam noch jede Menge Fleißarbeit dazu. Weil ich einfach ein Mensch sein wollte.


Wenn Du mitkriegen willst, wie es sprachlich weitergehen würde – bleib dran! Ich lerne übrigens immer noch, aber zum Reden über Gott und die Welt bin ich mehr oder weniger seit vier Jahren fähig. Im manchem bin ich ein Perfektionist, z.B. im Menschwerdenwollen.


Als ich mein Handy kriegte, konnte ich anfangs nicht damit schreiben. Das scheiterte an der Orthographie. Aber über WhatsApp und Signal kamen aber ständig ermutigende Worte von den Freunde und Verwandten rein. Dann machte ich mal Smileys, mal Herzchen, mal, wenn der Inhalt komisch war, drei Smileys, die sich kaputtlachten. Nur eines konnte ich ziemlich bald schreiben (ich weiß nicht, wieso) und schrieb es als Antwort unter manche Signalmessage:

                                                              Aphasie sucks! :-x

 
 
 

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2 Kommentare


Maria Gabriela Espinosa Sanchez
Maria Gabriela Espinosa Sanchez
02. Okt.

Und etwas, das ich an dir mag, ist dein Perfektionismus und dein Wille, immer fitter zu werden. Es ist nicht leicht, aber jedes Mal, wenn es wieder schlechter wird, holst du dir neue Kraft und kämpfst weiter mit mir an deiner Seite

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Norbert Söhnlein
Norbert Söhnlein
02. Okt.
Antwort an

So schön gesagt!! 😍Mit Dir an meiner Seite macht kämpfen Spaß☺️💕

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