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Blick vom Heimgarten, Thema "zurueck an den Berg"

Böse Leute

  • soenk3
  • 11. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Aug.

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Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, in Zukunft als Behinderter weiterzuleben.


Leben oder sterben?

 

Eines gab klipp und klar den Ausschlag. Gabi und meine Nichte Renata befanden sich noch in der Gewalt der bösen Leute. Ich wollte gar nicht wissen, was die bösen Leute mit ihnen gemacht hatten. Aber ich musste sie noch diesem Leben retten, zumindest musste ich es versuchen. Wie ich schaffen es sollte, angesichts meiner Wehrlosigkeit als Schwerbehinderter, drang mir nicht ins Bewußtsein. Ich musste dennoch versuchen, sie zu retten.

Also stand die Entscheidung fest: Leben, egal wie! Egal wie...


Das passierte zu aller Wahrscheinlichkeit, als ich noch im Koma lag. Als ich aufwachte, war ich halbseitig gelähmt und hatte einen kompletten Sprachverlust.


Beziehungweise, irgendwann wachte ich auf. Ich kam langsam, über Tage, zu mir. Es kann sein, dass jemand zu mir sagte, dass ich vier Tage lang im Koma gelegen hatte. Tatsächlich muss ich 8 Tage gelegen haben! Ich habe bis jetzt gemeint, es müssten vier Tage gewesen sein. Aber wenn ich meines Bruders Tagebuch, das extra für diese Zeit entstanden ist, lese, dann waren es 8 oder 9 Tage!

Da war die Stimme einer Krankenschwester. „Ihre Frau kommt nicht heute. Sondern übermorgen“. Wegen Corona, vergaß sie zu sagen. Und ich konnte nicht fragen.


Ausflüchte, nichts als Ausflüchte: es waren bestimmt die bösen Leute, die sich fälschlicherweise als meine Verwandten ausgaben. Schon fünf Tage, ohne dass sie sich blicken ließen (in Wirklichkeit waren es sogar 10!)... Wenn sie wussten, dass ich im Krankenhaus wäre, würde sie sofort kommen. Zumindest einer...


Wenn ich gewusst hätte, dass Gabi und mein Bruder schon einmal hineinschaut hatten, um den schwer verletzten Sönke zusehen... Normalerweise kamen wegen Corona überhaupt keine Besucher ins Krankenhaus, aber wie sollte ich das meinem Zustand zwischen Schlafen und Wachen wissen. Vielleicht hatte man mir es auch gesagt. Vielleicht mehrmals. Natürlich, es war finsterste Coronazeit. Aber bis ich hinreichend zum Kombinieren in der Lage wäre, würde es noch Tage dauern, vielleicht sogar Wochen. Ohne jede Info zu sein, hätte mich zum Verzweifeln gebracht. Und ständig die bösen Leute fürchten. Und ich konnte nicht fragen.

Und entsprechend meinte ich, es seien die bösen Leute, die sich fälschlich als meine Verwandten ausgaben. Schon fünf Tage, ohne dass sie sich blicken ließen... und wenn die bösen Leute kämen, wäre ich nicht mal in der Lage, zu sagen, dass das nicht meine Verwandten seien. Schreien vielleicht? Oder wenigstens voller Entsetzen gucken und mich im Bett wälzen, um die bösen Leute auf Distanz zu halten? Dann wäre es klar, dass ich nicht mehr ganz zurechnungsfähig war. Ich hatte Angst. Vor dem Moment, in dem sie kommen würden. Und ich würde wissen, dass sie noch meine Frau und meine Nichte weggesperrt hatten. Es könnte sein, dass meine Frau tatsächlich kam. Aber dass sie die Warterei aufschob, war fast nicht denkbar. Ich hatte wirklich Angst.


Irgendwann, einen Tag oder zwei Tage später, kamen sie dann. Und es waren nicht die bösen Leute. Es waren meine Frau und mein Bruder. Ich war so froh, dass ich (zumindest innerlich) mindestens dreimal "Halleluja" schrie...

Aber trotzdem mussten die strengen Coronamaßnahmen selbstverständlich eingehalten werden. Erst kam Gabi. Maskiert mit einer FFP2-Maske, aber es war nicht nötig, ihr die Maske abzureißen, um zu erkennen: MEINE Frau. Ich nahm sie in meinem linken Arm, ja, riss sie fast mit meinem linken Arm an mich und ließ sie nicht mehr los.  So gottfroh war ich.


Also war das mit den bösen Leuten bloß ein Traum. Die Realität meines Alptraums hatte sich bis hierher aufrecht erhalten. Dann war er urplötzlich entlarvt, der Alptraum, und überraschend schnell abgetan:

Mein Bruder durfte, trotz Corona, auch noch zu mir kommen. Er hatte einen Monchichi bei sich und begrüßte in der Monchichisprache. Wir hatten mindestens bis fünfzehn immer noch mit Monchichis gespielt und konnten bis meine Mutter in den Wahnsinn treiben, wenn wir anfingen, in Monchichisprache zu reden.

Natürlich riss ich auch meinen Bruder an mich. Er sagte mir später, er habe sich gewundert, wieviel Kraft ich noch hätte. So wäre er noch nie umarmt worden. Es hielt es sich um den Arm eines Kletterers, der urplötzlich von einer großen Last befreit wird.


Mein Bruder sagte mir sagte erster (d.h. als erster, von dem ich es mitkriegte?), dass ich am Jochberg beim Eisklettern war und mir ein Stein auf den Kopf gefallen war.

Ich sollte, glaub ich, nicht so bald mehr von irgendjemand hören, dass das Loch im meinem Kopf von einem Steinschlag herrührte. Und ich konnte nicht fragen.


Ich denke mir nachträglich, wie es so unmöglich sein kann, sich ohne Worte zu verständigen. Aber ich war komplett aufgeschmissen.

Wahrscheinlich wäre ich, als ich nach drei Wochen mein Handy kriegte, wo die Bilder von Klettern an der Jochberg-Nordwand sah, darauf gekommen. Vielleicht, vielleicht auch nicht.





 
 
 

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